St. Andreasberger Wasserwirtschaft - Teil 3

St. Andreasberger Wasserwirtschaft - Teil 3

Nutzung früher und heute

Wasser als Energieträger
Oderteich, Rehberger und Sonnenberger Graben versorgten sämtliche Sankt Andreasberger Gruben mit Antriebswasser – und nicht nur diese, denn Wasserräder wurden auch bei der Erzaufbereitung in den Pochwerken und bei der Metallgewinnung auf den Schmelzhütten eingesetzt. Schließlich existierten auch in Sankt Andreasberg verschiedene Mühlen, die mit Wasserkraft arbeiteten. Alles in allem ergab sich also ein sehr hoher Wasserbedarf, wobei der Bergbau immer Vorrecht bei der Wassernutzung hatte.

Oberschlächtige Wasserräder
Um alle Betriebe mit ausreichend Antriebswasser zu versorgen, bedurfte es eines sparsamen und gut durchdachten Wassermanagements. Wenn Sie schon einmal eine Wassermühle besichtigt haben, wird dort das Mühlrad vermutlich im Wasser gestanden haben, das Wasser wird also „von unten“ vom Rad aufgenommen. Diese Methode war für den Oberharz ungeeignet, denn die Wasserzufuhr kann nicht beeinflusst werden und eine nicht unerhebliche Menge Wasser fließt ungenutzt vorbei. Und so wurde im Oberharz das Wasser immer von oben auf die Wasserräder geleitet (oberschlächtig nennt der Bergmann das).

Haltet die Wasser hoch
Wenn das Wasser von oben auf ein Rad mit 10 m Durchmesser geleitet wurde, fiel es dementsprechend 10 m tief. Ein Hochpumpen des Wassers von dort war nicht möglich. Es konnte also anschließend nur noch Räder antreiben, die sich 10 m tiefer befanden. Vom Gesehr-Wasserlauf, wo der Rehberger Graben nach Sankt Andreasberg hineinfließt, bis zur Silberhütte, wo das letzte Wasserrad des Orts stand, sind es ca. 230 m Höhenunterschied; das Wasser kann also 230 m tief fallen. Wenn das Wasser mit jedem Rad 10 m fällt, könnten also insgesamt (rein rechnerisch) 23 Räder nacheinander angetrieben werden.  In der Praxis wurden in der Blütezeit des Bergbaus in den 1720ern aber mehr als 50 Wasserräder gleichzeitig angetrieben. Wie war das möglich?

Mehrfachnutzung und Energieeffizienz
Zum einen wurde der eine Wasserzufluss des Rehberger Grabens mehrfach geteilt, sodass mehrere Zuflüsse entstanden, die auch dementsprechend mehrere Wasserräder auf ein- und derselben Höhe antreiben konnten. So gab es eine Versorgungslinie für den sogenannten „Inwendigen Zug“, auf dem u.a. die Grube Samson liegt, und eine für den „Auswendigen Zug“, den Gruben um den heutigen Matthias-Schmidt-Berg (mit Sommerrodelbahn und Skipisten).
Durch den Bau von Wasserlösungsstollen wurde außerdem dafür gesorgt, dass das einsickernde Wasser unter Tage abfließen konnte und somit nicht bis nach über Tage gepumpt werden musste. Das sparte Pumpen und damit Wasserräder für deren Antrieb.
Da trotz aller beschriebenen Maßnahmen nicht für jede einzelne Grube Wasser zur Verfügung stand, wurde zum Teil ein Rad von mehreren Gruben gleichzeitig genutzt.

Flexibilität und Anpassungsdynamik
Alles in allem entstand im Laufe der Zeit ein ausgeklügeltes System aus Gräben, Teichen, verschiedenen Wasserrädern, Wasserlösungsstollen etc., das keineswegs starr war. Je nachdem, wo gerade vermehrt Erz gefördert wurde, wurden einzelne Anlagen ab-, um- oder aufgebaut. Allein der Samson erhielt mehrfach neue Wasserräder.

Nachnutzung
Was ist von diesen beeindruckenden Ingenieursleistungen geblieben? Oderteich, Sonnenberger und Rehberger Graben sowie die Samsoner Wasserräder gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe und sind damit geschützt. Sie können erwandert bzw. besichtigt werden. Aber wird das ehemalige Energieversorgungssystem des Sankt Andreasberger Bergbaus wirklich „nur noch“ aus kulturellen Gründen bzw. zur Freude der Touristen erhalten? Eindeutig nein!

Regenerative Energiegewinnung
Seine eigentliche heutige Nutzung ist schon älter als sein Welterbetitel und doch gleichzeitig brandaktuell und zukunftsweisend: Das Wasser aus Oderteich und Rehberger Graben wird als das genutzt, wozu es auch schon die Bergleute brauchten – als Energieträger. Nur treibt es seit dem Ende des Bergbaus 1910 keine Wasserräder mehr an. Stattdessen wurde in den Samsonschacht 1912 eine Turbine samt Generator zur Stromerzeugung in 190 m Tiefe eingebaut. Dieser Standort wurde gewählt, weil sich an genau derselben Stelle früher ein Wasserrad befunden hatte. Damit stand mit der ehemaligen Radstube der notwendige Platz zur Verfügung. 1921 folgte eine zweite Anlage 60 m höher. Beide Kraftwerke liegen jeweils an einem Wasserlösungsstollen, durch die das Wasser nach dem Turbinenantrieb abfließen kann. Entsprechend der beiden Stollen heißt das obere Kraftwerk „Grüner Hirsch“, das tiefere „Sieberstollen“.

„Green City“ St. Andreasberg
Neben diesen beiden Anlagen im Samsonschacht existieren im Ort vier weitere; alle 6 können bei entsprechendem Wasserzufluss fast 90% des lokalen Strombedarfs decken. Seit gut einhundert Jahren wird in Sankt Andreasberg also regenerativer Strom mit Hilfe von Wasserkraft aus einem jahrhundertealten Energieversorgungssystem gewonnen. Eine bereits vorhandene Infrastruktur und lokale, „nachwachsende“ Rohstoffe werden genutzt, um den Strombedarf heutiger und kommender Generationen zu decken. Davon profitiert auch die Energiewirtschaft vor Ort als Betreiber der Anlagen. Generationsübergreifend, umwelt- und ressourcenschonend, langfristig, kurz: nachhaltig nennen wir das.

„Schule der Nachhaltigkeit“
Und sind angesichts von Klimawandel- und Energiewendedebatten ein bisschen stolz darauf. Aber wir wollen uns darauf nicht ausruhen, sondern den Samson zu einer Schule der Nachhaltigkeit entwickeln. Damit der Gedanke weitergetragen wird, damit auch an anderer Stelle Orte wie der Samson entstehen, damit ein schonender Umgang mit Rohstoffen und die Langlebigkeit von Produkten und Dienstleistungen in Zukunft wieder selbstverständlich werden. Manchmal hilft dabei ein Blick in die Vergangenheit, so wie bei der Andreasberger Wasserwirtschaft.
 

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