Die Fahrkunst - Einzigartig und im Harz erfunden

Die Fahrkunst - Einzigartig und im Harz erfunden

Zusammenfassung
Die Fahrkunst wurde 1833 im Oberharz erfunden. Die letzte im Original vorhandene und betriebsbereite Fahrkunst befindet sich in der Grube Samson und ist ein anerkanntes internationales Maschinendenkmal. Lesezeit: 3 min

Bergleute „fahren“ wenn sie gehen
Dass die Arbeit der Bergleute untertage körperlich anstrengend war, ist kein Geheimnis. Über den Arbeitsweg jedoch, also das „Ein- und Ausfahren“, wie der Bergmann sagt,  ist im Allgemeinen weniger bekannt. Denn die Arbeit begann nicht erst untertage im Schacht, sondern bereits mit dem Weg hinunter in mehrere hundert Meter Tiefe. Und dieser wurde bis 1833 zu Fuß zurückgelegt, auch wenn die Bezeichnung „Fahren“ etwas Anderes suggeriert. Genauso irritierend mag der Begriff „Fahrten“ klingen, auf denen die Strecke zurückgelegt wurde. Damit bezeichnet der Bergmann jedoch einfach – Holzleitern. Diese hatten eine maximale Länge von 6 Metern. Bei einem 600 Meter tiefen Schacht, wie es für den Samson Anfang des 19. Jahrhunderts zutraf, mussten die Bergleute dementsprechend 100 Leitern nach unten und nach der Schicht eben diese wieder nach oben klettern.

Bergmännisches Workout - alles andere als gut für die Fitness
Dieses „Fitnessprogramm“ dauerte morgens 90 Minuten und beim „Ausfahren“ 150 Minuten – das ergibt in Summe vier Stunden Leiternklettern täglich, was nicht zur regulären Arbeitszeit zählte und dementsprechend auch nicht vergütet wurde. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass sich damals niemand Gedanken über das richtige „Body-Workout“ machen musste.

Lange Tage mit heute kaum vorstellbaren Strapazen
Wagen wir ein kleines Gedankenexperiment und versetzen uns einmal in den Alltag eines Samsoner Bergmannes am Anfang des 19. Jahrhunderts. Morgens um 4 Uhr werden Sie von den Glockenschlägen des Glockenturms geweckt. Zu Fuß machen Sie sich auf den Weg zur Grube Samson, was je nach Entfernung und Wetter (z.B. Dauerregen, Schneefall, eisige Kälte) bis zu einer Stunde dauern kann. Vor Ort angekommen beginnt die Betstunde; anschließend erhalten Sie das Fett für Ihren Harzer Frosch. Diese kleine Lampe, deren Lichtschein die Reichweite einer Kerze hat, wird Ihre einzige Beleuchtung untertage sein. Gegen 6 Uhr betreten Sie also die erste Leiter und klettern danach noch ca. 99 weitere hinab, um nach etwa 90 Minuten den Schachtgrund zu erreichen. Erst jetzt beginnt Ihre reguläre Arbeitszeit. Die Bedingungen dort unten können Sie sich folgendermaßen vorstellen: Sie arbeiten mehrere Stunden in einem Tropenhaus hart körperlich, nur dass zusätzlich das Licht spärlich und der Sauerstoffgehalt der Luft zuweilen knapp ist. Nachdem Ihre bezahlte Arbeitszeit endet, treten Sie den 600 Meter langen Rückweg nach übertage an.  Schauen wir uns noch einmal die Holzleitern an, die Sie nun wieder nach oben nehmen: Sie sind nass und dementsprechend rutschig; auch kann es passieren, dass eine Sprosse bereits morsch ist und unter Ihrem Gewicht nachgibt. Wenn alles gutgeht, erreichen Sie am späten Abend das Schachtgebäude und machen sich auf den Weg nach Hause, wo Sie eventuell auch noch Arbeit erwartet, denn das Vieh muss versorgt und Holz für den Winter gemacht werden. Irgendwann gehen Sie dann zu Bett, bevor um 4 Uhr der Tag von Neuem beginnt. Das Ganze spielt sich an 6 Tagen die Woche ab, nur sonntags haben Sie frei.

Der Berg macht krank
Auch wenn Sie sich das nur annähernd vorstellen können, ist sicherlich nachvollziehbar, dass die Bergleute chronisch übermüdet und häufig körperlich ausgelaugt waren. Der Mangel an Sonnenlicht tat bestimmt sein Übriges. Kurz gesagt: Diese Bedingungen waren auf Dauer selbst für den fittesten Bergmann unzumutbar. Es wurde eifrig nach Lösungen gesucht – von Arbeitszeitverkürzung als Ausgleich für das Ein- und Ausfahren bis hin zur Idee, die Bergleute sollten untertage übernachten, deren Anwendung für Sankt Andreasberg aber nicht nachweisbar ist. Alles dennoch keine optimalen Lösungen.

Eine Harzer Erfindung für den Bergbau
Erst 1833 kam Dörell aus Zellerfeld die durchschlagende Idee. Inspiriert von der Funktionsweise der Pumpen erfand er einen Aufzug für die Bergleute mit dem Namen „Fahrkunst“ in Anlehnung an die Leitern (Fahrten) und den damals gebräuchlichen Begriff für alles Technische bzw. jede Art von Maschinen (Kunst). Dieser Lift hatte eher wenig Ähnlichkeit mit unseren heutigen, am nächsten kommt er noch einem Paternoster. Zwei parallele Gestänge, die durchgehenden Leitern ähneln, bewegen sich permanent auf und ab; geht das eine nach oben, bewegt sich das andere nach unten. Nach jeweils 1,80m ändert sich die Laufrichtung. An jedem Gestänge befinden sich Trittbretter und Haltegriffe. Würde der Bergmann sich morgens auf das oberste Trittbrett stellen, am zugehörigen Griff festhalten und einfach dort verharren, würde er den ganzen Tag hindurch immer nur 1,60m hinab- und anschließend direkt wieder hinauffahren. Er würde also nicht von der Stelle kommen. Stattdessen muss er, nachdem er 1,60m nach unten gefahren ist, auf das sich nun auf gleicher Höhe befindende Nachbartrittbrett übersteigen, um dann auf diesem wiederum nach unten zu fahren, wo er auf das nächste Trittbrett umsteigt usw. Er wechselt also permanent zwischen den Gestängen hin und her, nur so kommt er nach ca. 50 Minuten in 600m Tiefe an. Auch wenn sich 50 Minuten immer noch viel anhören, im Vergleich zu 90 Minuten war dies ein Quantensprung. Noch mehr beim Ausfahren, denn auch dieses wurde auf 50 Minuten verkürzt.

Enorme Erleichterung der Ein- und Ausfahrt
Wir können also festhalten: Die Einführung der Fahrkunst bedeutete eine enorme Arbeitserleichterung für die Bergleute. Unterschätzt werden durfte sie dennoch nicht. Zum Umsteigen zwischen den Trittbrettern steht genau eine Sekunde zur Verfügung, denn das ist die Zeitspanne, während derer die beiden Tritte nebeneinander stehen, bevor sie sich anschließend wieder auseinander bewegen. Eine Sicherung z.B. mit Karabinern, wie es beim Klettern üblich ist, ist auf der Fahrkunst nicht möglich. Dementsprechend könnte ein falscher Schritt der Letzte im Leben eines Bergmanns bedeuten. Da der Harzer Frosch mitgenommen werden musste, blieb zum Festhalten und Umgreifen nur eine Hand übrig. So gesehen blieb das Ein- und Ausfahren „abenteuerlich“ und mich wundert es immer wieder, dass zwischen 1837 und 1910 nur sechs Bergleute auf der Samsoner Fahrkunst tödlich verunglückten.

Fahrkunst fahren – einzigartig und nur in der Grube Samson für alle erlebbar
Dass unser Exemplar erst vier Jahre nach Erfindung der Fahrkunst eingebaut wurde, ist heute von globaler Bedeutung. Dem Umstand, dass die Samsoner Fahrkunst nicht wie üblich aus Holz, sondern aus dem 1834 erfundenen Drahtseil gefertigt wurde, verdanken wir es, dass sie heute noch existiert und funktioniert – als Letzte weltweit. Ja, Sie haben richtig gelesen: Bei uns können Sie ein Unikat sehen und – zumindest am Simulator – selbst ausprobieren. Allein deshalb lohnt sich also ein Besuch der Grube Samson, zumal Sie vor Ort die doch etwas spezielle Funktionsweise besser nachvollziehen können. Schließlich erfahren Sie noch, warum die Betriebsbereitschaft der Samsoner Fahrkunst auch heute noch von immenser Bedeutung ist.
 

Weiterführende Literatur:

Liessmann, Wilfried: Historischer Bergbau im Harz, Kurzführer. Berlin, Heidelberg 2010.

Lampe, Wolfgang und Langefeld, Oliver (Hrsg): „Dieses ist die letzte Tonne Erz, Gott schütze und ferner vor Leid und Schmerz“, 100 Jahre Ende Silberbergbau, Vorträge aus dem Kolloquium am 02. Juli 2010 in Sankt Andreasberg, Clausthal-Zellerfeld 2010.
 

Kommentare

Eine anschaulich beschriebene Geschichte der 'Fahrkunst'.

Mein Vorfahre Orlamünder, Tischerei in Zellerfeld, habe die 'Fahrkunst' hergestellt,

überliefert - familienbezogen - die Lehende.

K.G.

Kommentare

Eine anschaulich beschriebene Geschichte der 'Fahrkunst'.

Mein Vorfahre Orlamünder, Tischerei in Zellerfeld, habe die 'Fahrkunst' hergestellt,

überliefert - familienbezogen - die Lehende.

K.G.

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